Ein Schängel in der Altstadt

„Sawyer, lauf!“ ruft Vincent und schiebt seinen Freund vorwärts. Wieder und wieder rennen die Beiden gemeinsam um den achteckigen Brunnentrog, hoffend, endlich vom Wasserstrahl der gelegentlich speienden Brunnenfigur getroffen zu werden. In sicherer Entfernung stehen Louisa und Jiale und beobachten das muntere Spiel.

Die vier Erstklässler der Schenkendorf-Grundschule zeigen mir an diesem wolkenverhangenen Morgen ihren Lieblingsplatz. Dieser befindet sich im Rathaushof (heute: Willi-Hörter-Platz) in der Altstadt von Koblenz, umringt von Renaissance- und Barockbauten. Für die Menschen in Koblenz ist er ein Wahrzeichen ihrer Stadt.

Am Schängel-Brunnen in der Koblenzer Altstadt, Mai 2019

„Der Brunnen mit dem Schängel ist cool“, so Vincent auf meine Frage, warum er sich diesen Lieblingsplatz ausgesucht hat.
„Hier kann man gut fangen spielen. Aber am liebsten stelle ich mich direkt an den Brunnen. Wenn man eine Weile wartet, wird man nass gespritzt. Aber man weiß nie genau, wann das ist. Das finde ich richtig gut“, lacht er und dreht die nächste Runde.

„Ich weiß, was ein Schängel ist“, erklärt mir Louisa ernst, „ein Lausbub, der Streiche macht. Wir haben in der Schule das Schängellied gelernt, und tragen diese Mützen“, zeigt sie stolz auf die blaue Kappe auf ihrem Kopf.

Der Begriff „Schängel“ stammt aus der Zeit der 20-jährigen Zugehörigkeit der Stadt Koblenz zu Frankreich (1794-1813) und bezeichnet die in diesem Zeitraum geborenen deutsch-französischen Kinder, oftmals mit dem Namen Jean (deutsch: Hans oder Johann). Über die Zeit entwickelte sich in Koblenzer Mundart aus Jean der „Schang“ und schließlich die Verniedlichung „Schängel“. Früher noch ein Schimpfwort, verstehen sich heute alle gebürtigen Koblenzer als Schängel und sind stolz auf den witzigen und schlagfertigen kleinen Kerl.[1]

Der Schängel-Brunnen, ursprünglich auch Schängelchen-Brunnen genannt, ist dem Koblenzer Heimatdichter Josef Cornelius gewidmet, der auch den Text des Schängelliedes verfasst hat.

Geht man um das aus Eifeler Basaltlava gefertigte Brunnenbecken herum, entdeckt man in den Reliefs Jungenstreiche der Schängel. Dabei muss man allerdings gut aufpassen, denn die Bronzefigur auf der Mittelsäule, die einen Jungen zeigt, speit in unregelmäßigen Abständen einen Wasserstrahl mehrere Meter weit.

Und genau das finden diese Vier so faszinierend.
„Ich finde am besten, dass der Schängel immer Wasser spuckt“, so Jiale und Vincent, der am liebsten auf den Brunnen klettern möchte, fügt noch rasch hinzu: „Manchmal stehen viele Menschen an diesem Brunnen. Dann schauen wir einfach nur zu, wie diese nass gespritzt werden.“ Er dreht sich um und läuft davon.

Warten… und irgendwann spuckt er dann, der Schängel, Mai 2019

Dafür gesellt sich Sawyer zu mir. Der aufgeweckte Junge erzählt, dass auch er gerne mit seinen Freunden hierher kommt, doch nicht nur, um hier zu spielen.
„Siehst du den Durchgang?“, fragt er mich und zeigt auf das ehemalige Jesuitengymnasium, durch dessen Torbogens ein Blick auf den Jesuitenplatz möglich ist.
Ich nicke.
„Manchmal spielen dort Musiker. Dahinter ist ein großer Platz mit einem Denkmal und einer Eisdiele. Das Eis mag ich sehr gerne. Wenn ich am Schängel-Brunnen bin“, strahlt Sawyer, “möchte ich dort immer Eis essen.“
Schade, denke auch ich jetzt, dass es noch so früh am Morgen ist.

Der Jesuitenplatz mit dem ehemaligen Jesuitengymnasium (heute: Rathaus der Stadt Koblenz), der ehemaligen Jesuitenkirche (heute: Citykirche), dem Denkmal des Koblenzer Physiologen und Anatomen Johann Müller und den schmucken Bürgerhäusern liegt im Herzen der Koblenzer Altstadt. Seinen Namen erhielt er von der gleichnamigen Ordensgemeinschaft, die an dieser Stelle von 1580 bis 1773 wirkte. Um den Platz herum befinden sich viele Cafés, Restaurants.

Während wir geduldig auf das Speien des Schängels warten, frage ich Sawyer, was er einem gleichaltrigen Gast in Koblenz gerne zeigen würde.
„Klar, den Schängel-Brunnen, aber auch die Stadtbibliothek. Dort gibt es viele Bücher und eine Ecke für Kinder.“
Dann überlegt Sawyer einen Moment.
„Vielleicht würde ich aber auch ins Freibad Oberwerth gehen.“
Wir einigen uns schnell, dass es dabei wohl aufs Wetter ankommt.

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Jiale, Louisa, Sawyer und Vincent (1. Klasse Schenkendorf-Grundschule)
Lieblingsplatz: Schängelbrunnen (Willi-Hörter-Platz 1, 56068 Koblenz | frei zugänglicher Platz)

Herzlichen Dank an die Eltern der Kinder für die Unterstützung des Projektes und die Freigabe des Textes und der Bilder.

[1] https://www.koblenz-touristik.de/kultur/sehenswertes-koblenz/schaengelbrunnen.html