Am großen Schaufenster der Kunstbackstube im Koblenzer Stadtteil Ehrenbreitstein habe ich so manches Mal gestanden und all die schön geformten Dinge unterschiedlichster Stilart bestaunt, Tassen, Teller, Schüsseln, Schalen, Kannen, Vasen. Ich war auch schon unzählige Male auf dem Wochenmarkt auf dem Kapuzinerplatz. Ich habe dort frisches Obst und Gemüse oder duftende Gewürze gekauft, gerne auch mit Freunden bei Wein, frischem Brot, wohlschmeckendem Käse und Oliven zusammen gesessen und den Abend nach der Arbeit ausklingen lassen. Und immer wieder habe ich dabei den Namen Anja Bogott gehört oder gelesen. Wer ist diese Frau, die mit diesem Stadtteil so verbunden ist, habe ich mich oft gefragt?
Anfang März habe ich die ‚Zugezogene‘, wie sie sich selbst schmunzelnd bezeichnet hat, persönlich kennenlernen dürfen. Und es war ein kurzweiliger Nachmittag an ihrem Lieblingsplatz. Ich war überrascht von Anjas Offenheit, hatten wir uns doch nur kurz vorher per Email verabredet.
An jenem Nachmittag also empfängt mich Anja in der Kunstbackstube im Koblenzer Stadtteil Ehrenbreitstein. Mit dem Telefon am Ohr bittet sie mich um etwas Geduld. Sie möchte rasch klären, ob der Wochenmarkt wie geplant stattfinden kann. Ihre Stimme klingt dabei besorgt.
„Es ist schön eine eigenartige Zeit“, beginnt sie unser Gespräch nach dem Telefonat, „unser Wochenmarkt kann mit Auflagen und Einschränkungen stattfinden. Das freut mich sehr und ich bin mir sicher, dass sich alle unsere Marktbesucher verantwortungsvoll verhalten werden. Trotzdem bin ich verunsichert wegen der aktuellen Entwicklungen bei uns im Land, bei uns in der Stadt. Die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus und die einschneidenden Maßnahmen, um dessen Ausbreitung zu verhindern und die Menschen zu schützen, darüber mache ich mir sehr viele Gedanken. Wie wird sich das weiter entwickeln, welche Auswirkungen wird es für mich persönlich und überhaupt für uns alle haben?“ Nachdenklich schaut sie auf ihr Handy, das soeben unzählige Male das Ankommen von Nachrichten verkündet hat.
Derweil schaue ich mich an Anjas Lieblingsplatz um. Ein mindestens vier Meter langer verglaster Tresen, der einst als Verkaufstresen einer Bäckerei diente, beherbergt wunderschön Geformtes aus Ton, Gebrauchskeramik, anspruchsvolles Dekor oder Figürliches. An den Wänden hängen originale Zeichnungen und Grafiken. Ein Ständer mit Postkarten fällt mir ins Auge. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich die liebevoll gestalteten originalen Postkarten. In einer separaten Ecke, direkt hinter einem der großen Schaufenster, befindet sich der Arbeitsplatz der studierten Keramikerin, die mit ihrer Kunstbackstube ein Kommunikationszentrum für Kunstschaffende, eine Ausstellungsfläche für anerkannte Künstler und junge Talente, einen Lernort für handwerklich Neugierige und eine Oase für Schenkende geschaffen hat.
„Hier in diesen Räumen“, so erklärt mir Anja, „befanden sich einst eine Druckerei, später eine Bäckerei. In der Druckerei wurden die Werke von Sophie La Roche gedruckt. Das ist doch schon etwas Besonderes. 2012 habe ich hier meine ‚Kunstbackstube‘ eröffnet. Der Name rührt auch daher, dass hier eben früher eine Bäckerei gewesen ist. Ich habe bewusst den Begriff ‚Backstube‘ gewählt. Eine Backstube ist klein, individuell, eine Bäckerei hingegen assoziiert Größe, vielleicht sogar Fließbandarbeit.“
Sie hält kurz inne: „Hier habe ich mir meinen kreativen Raum geschaffen, wo ich meine Ideen schöpferisch verwirklichen, aber auch entspannen kann. Keramik ist für mich mehr als nur Tellerdrehen.“
Ihr Fachwissen und ihr Können gibt Anja gerne an Interessierte weiter und zeigt Schritt für Schritt die Herstellung von keramischen Gegenständen.
„Frei nach dem Motto ‚Guten Ton kann man lernen‘ biete ich hier unterschiedliche Kurse an. Ich arbeite gerne mit Menschen und vermittle ihnen hier Freude am Gestalten.“
Anja ist in 1973 in Cottbus geboren.
„In meinen Adern fließt Wendisches Blut“, lacht sie und beantwortet meinen fragenden Blick: „Es gibt die anerkannten nationalen Minderheiten der Sorben und der Wenden. Letztere sind die Niederlausitzer und Nachfahren westslawischer Stämme.“
Aber wie kommt man denn von Cottbus nach Koblenz, frage ich interessiert?
„Auf Umwegen“, so Anja augenzwinkernd.
„Nach dem Abitur wollte ich eine Keramikerlehre machen und habe nach einem Ausbildungsplatz gesucht. Diesen habe ich bei der Designerin für Keramik Christa L. Bänfer gefunden und bin 1992 auf die Insel Fehmarn ausgewandert. Also gar nicht so weit entfernt von Koblenz“, scherzt sie.
„1995 habe ich meine Gesellenprüfung gemacht und 2001 mein Studium am Institut für Künstlerische Keramik und Glas in Höhr-Grenzhausen begonnen. Da wollte ich unbedingt hin, also musste ich die Insel verlassen. Dass ich nicht am Studienort wohnen wollte, war mir schnell klar. Da in dieser Zeit der Glockenbergtunnel gebaut wurde, hieß das für mich in Verbindung mit meinem neuen Studienort, entweder vor dem Tunnel in der Stadt oder hinter dem Tunnel in Ehrenbreitstein, ggf. in Vallendar zu wohnen. Letztendlich habe ich mich 2001 dann, auch wegen des Angebotes und des Preises, für diesen Stadtteil hier entschieden. Und dieser hat sich in den letzten Jahren enorm verändert.“
Inwiefern, frage ich nach?
„Eine Umgehungsstraße wurde gebaut, der Kapuzinerplatz neu gestaltet, Häuser saniert, Kunst- und Kulturschaffende haben sich hier niedergelassen. 2006 wurde der ‚Kulturraum Ehrenbreitstein e.V.“ gegründet, ein Jahr später die Werbegemeinschaft ‚WIR in Ehrenbreitstein‘ und seit 2009 gibt es den Wochenmarkt, immer mittwochs.“ Anja strahlt.
Der Stadtteil Ehrenbreitstein liegt auf der rechten Rheinseite und war bis zur Eingemeindung im Jahr 1937 eine eigenständige Stadt. Im 17. Jahrhundert machten die Trierer Kurfürsten die Stadt zu ihrer Residenz. Seit 2002 gehört die Altstadt von Ehrenbreitstein zum UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal.
Natürlich möchte ich noch eine ganze Menge über diesen Stadtteil erfahren. Anja nach dem Wochenmarkt oder den vielen kulturellen Angeboten fragen. Aber ich möchte auch mit ihr über Koblenz sprechen. Und so frage ich Anja, was ihr in Koblenz gut gefällt und welche Wünsche sie an diese Stadt hat.
„Koblenz hat sehr viele schöne Ecken“, beginnt Anja diplomatisch.
„Besonders gefallen mir die Rheinanlagen zwischen der Pfaffendorfer Brücke und dem Deutschen Eck, auch der Brunnen, also die Historiensäule, auf dem Josef-Görres-Platz, dann der Schlosspark mit den wunderschönen alten Bäumen. Besonders schön ist auch das Mühlental, welches in Ehrenbreitstein beginnt und wo man herrlich wandern kann. Ach, und dann natürlich ‚Die Schöne‘, eine weibliche Figur, die hoch oben auf einer Hausmauer am Moselufer sitzt. Schon mal gesehen“, fragt sie mich keck?
Konkrete Wünsche an ihre Stadt hat Anja allerdings nicht. Und auch auf mein Locken, einen total verrückten Wunsch zu äußeren, geht sie nicht ein.
Viel lieber spricht sie mit mir über die Menschen in dieser Stadt. Lebensfroh und locker sind sie, sehr offen und aufgeschlossen gegenüber Fremden. Sie selbst hat seinerzeit schnell Kontakt gefunden.
„Man kommt rasch miteinander ins Gespräch und“, so Anja immer noch etwas erstaunt, „ man setzt sich hier im Lokal einfach zu anderen Menschen an den Tisch. Das habe ich im Norden so nicht erlebt.“
Allerdings ist Anja der Meinung, dass viele Koblenzerinnen und Koblenzer noch nie in Ehrenbreitstein gewesen sind. Die Brücken über den Rhein, so scheint es ihr, seien da ein Hindernis.
„Aber es ist schon besser geworden“, räumt sie dann doch ein, „die vielen Veranstaltungen, wie die Ehrenbreitsteiner Kulturtage oder das Rheinsteig-Ufer-Fest, die unterschiedlichen Kunstgalerien, das kleine ‚Theater am Ehrenbreitstein‘, das urige ‚Café am Kapuzinerplatz‘ und natürlich der Wochenmarkt locken immer mehr Menschen in unseren Stadtteil.“
Da war er wieder, der Ehrenbreitsteiner Wochenmarkt. Mit strahlenden Augen erzählt Anja von der einstigen Idee, einen Markt auszurichten, um fehlende Einkaufsmöglichkeiten wettzumachen. Der Verein ‚Wir in Ehrenbreitstein e.V.‘, dessen Vorsitzende sie ist, nahm sich des Gedankens an und gestaltet und organisiert nun seit über zehn Jahren das Marktgeschehen, das längst über die Stadtteilgrenzen hinaus bekannt ist.
„Wir haben einen Markt mit Aufenthaltsqualität. Das unterscheidet den Markt von anderen Märkten, zum Beispiel vom Koblenzer Wochenmarkt in der Schlossstraße“, erklärt mir Anja.
Außerdem, so berichtet sie weiter, kommen die Händlerinnen und Händler aus der Region. Es gibt frische Back-, Käse- und Wurstwaren, Honig, Eier, frisches Gemüse, auch Handarbeiten oder Pflanzen, einen Winzerstand und Stände mit verschiedenen Speisen und kleinen Leckereien. An aufgestellten Tischen und Bänken kann man sitzen und das Gekaufte direkt genießen.
„Es werden immer mehr Händlerinnen und Händler, die zu uns auf den Wochenmarkt kommen möchten. Der Kapuzinerplatz ist längst zu klein“, stellt Anja fest, „aber der Platz ist so ideal gelegen, dass es keinen Umzug des Marktes geben wird. Wohin auch hier in Ehrenbreitstein“, zuckt sie mit den Schultern.
Dass die Organisation des Marktes Anja viel Zeit und hin und wieder auch ordentlich Nerven kostet, nimmt die engagierte Mittvierzigerin gerne in Kauf. Am Markttag ist sie nicht nur Ansprechpartnerin für alle auftretenden Fragen oder Probleme, sondern begleitet auch den Auf- und Abbau und kassiert die Standgebühren. Dass man sie hier im Stadtteil kennt, wundert mich nicht mehr.
Diesen zu verlassen, mag sich meine Gesprächspartnerin auch gar nicht vorstellen. Sie ist hier inzwischen Zuhause, lebt mit ihrem Partner in einer Wohnung mit der, so Anja: „… schönsten Terrasse von Koblenz. Und meine Mutter lebt heute ebenfalls in Ehrenbreitstein, unweit von mir. Das ist sehr schön, manchmal ein wenig anstrengend“, scherzt sie wieder.
„Sie hat sich ebenso schnell eingelebt. Man kennt sich halt hier, hält zusammen, hilft einander. Aber vor allem“, Anja hält kurz inne, „der Mix der Menschen, die hier miteinander leben, macht unseren Stadtteil aus.“
Miteinander, das Wort hat Anja ganz besonders betont.
Einem Gast würde sie natürlich ihren Stadtteil zeigen, dazu die Festung Ehrenbreitstein, das Deutsche Eck und die Rheinanlagen.
„Wir würden einen langen Spaziergang machen, essen gehen und Freunde besuchen“, so Anja überzeugt, „und wenn mein Gast am Abend unsere Stadt verlässt, würde ich ihm sagen, dass ich ganz sicher bin, dass er wiederkommen wird. Bisher sind nämlich alle wiedergekommen. Oder“, Anja macht eine kleine Pause, „hier geblieben.“ Und dann lächelt sie versonnen, wie schon so oft während unseres Gesprächs, das ich jetzt mit der kleinen Herausforderung beende, mir Koblenz mit fünf Worten oder Sätzen zu beschreiben.
„Koblenz?“, fragt Anja und mustert mich etwas kritisch.
„Okay, also Ehrenbreitstein ist ein romantisch widersprüchlicher Ort, zum lieb haben, manchmal auch etwas nervig, ist ein zentraler Ort und hat wunderbare und spannende Menschen.“
Und dann nach einer Pause, mit verschmitztem Lächeln: „Das gilt übrigens für Koblenz auch!“
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Anja Bogott, Jg. 1973, studierte Keramikerin
Lieblingsplatz: Kunstbackstube im Stadtteil Ehrenbreitstein