Joélle: Koblenz ist einfach anders!

Heute treffe ich Joélle. Ich bin eine halbe Stunde früher an unserem vereinbarten Treffpunkt. Ich möchte vorab schon ein paar Fotos vom Eingang des Hauptfriedhofs in Koblenz schießen. Während ich noch nach geeigneten Motiven suche, entdecke ich die junge Frau wartend in der Nähe des Eingangs.

„Bist du auch immer so überpünktlich?“, begrüßt mich Joélle.
Ich schüttele den Kopf.
Joelle staunt: „Aber ich! Ich mag es gar nicht, zu einem Treffen zu spät zu kommen.“

Wenig später bummel wir entspannt durch die alte Platanenallee, die sich im historischen Teil des Hauptfriedhofes befindet. Joélle möchte mit mir auf direktem Weg zu ihrem Lieblingsplatz. Die junge Koblenzerin liebt die Ruhe und Abgeschiedenheit an diesem besonderen Ort. Friedhof und Tod bedeutet für sie jedoch nicht unbedingt Trauer und Abschied: „Im Gegenteil, mir wird hier immer wieder auch bewusst, wie wertvoll das Leben ist.“

Joélle an ihrem Lieblingsplatz, April 2019

Joélle hat inzwischen auf einer Steinbank Platz genommen, die von großen alten Bäumen umgeben ist. Durch deren frühlingsgrüne Blätter blitzt hin und wieder das Sonnenlicht. In die angenehme Stille hinein zwitschern die Vögeln. Tatsächlich ein versteckter Ort, denke ich und lasse die Ruhe auf mich wirken. Wir schweigen eine Weile und genießen.

„Oft sitze ich hier nach einem anstrengenden Tag oder um nachzudenken, wenn Entscheidungen anstehen“, beginnt Joélle das Gespräch.
„Auf dem Friedhof kannst du alleine sein. Aber, wenn du es magst, auch Menschen treffen, die zu den Gräbern ihrer Angehörigen gehen oder nur spazieren. Und“, sie zeigt auf die zwei Spatzen nahe der Bank, „du bist mitten in der Natur. Kaninchen, Vögel, Mäuse, Hummeln. An manchen Tagen spaziere ich ziellos stundenlang über den Friedhof. Dabei kann ich wunderbar kreative Ideen entwickeln.“

Der Koblenzer Hauptfriedhof ist der größte Friedhof der Stadt und zugleich ein terrassenförmig angelegter Landschaftspark. Die 36 Hektar große Anlage wurde 1820 eingeweiht. Im historischen Teil des Friedhofes befinden sich sehenswerte Gräber von vielen bedeutenden Persönlichkeiten, wie Peter Altmeier (Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz), Karl Baedecker (Verleger), Max von Schenkendorf (Dichter), Caroline Settegast (Wohltäterin und Mitbegründerin des katholischen Frauenvereins St. Barbara im 19. Jahrhundert) oder Willi Hörter (Koblenzer Oberbürgermeister). Außerdem ruhen auf dem Friedhof Angehörige hier gegründeter Orden oder kommandierende Generäle des VII. preußischen Armee-Korps.

Schon auf dem Weg zu ihrem Lieblingsplatz hat mich Joélle auf interessante Grabstätten aufmerksam gemacht und mir dabei erklärt, dass ein Spaziergang über den Hauptfriedhof auch ein Gang durch die Geschichte sein kann.

Koblenzer Hauptfriedhof, auch ein Spaziergang durch die Geschichte, April 2019

Was gefällt dir denn an deiner Heimatstadt?, unterbreche ich die uns umgebende Stille.
Joélle überlegt eine Weile.
„Am ehesten wohl die Vielfalt der Menschen hier. Manche sind total stylisch, andere wiederum ziehen an, was ihnen gefällt, sogar Jogginghosen. Das finde richtig gut“, lacht sie.
Allerdings“, sie korrigiert sich sofort, „wenn man sich in Koblenz außerhalb der Karnevalszeit verkleidet und auf die Straße geht, da sind die Menschen dann doch eher verwundert. Ja, und die Kneipenszene“, fährt sie fort,“ die ist auch in Ordnung. Von Schlager bis schwärzesten Heavy Metall, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Jedoch“, jetzt zögert Joélle einen Moment, „schwer zu finden. Da fehlt es an ausreichend Information. Manchmal findet eine Veranstaltung direkt in deiner Nähe statt und du bekommst es gar nicht mit. Man muss auf die vielen Angebote einfach besser aufmerksam machen.“

Hast du eine Idee?
„Ja klar, Litfaßsäulen in der Stadt! Genügend Platz für Plakate und auch noch optisch schön und bunt.“

Joélle genießt die Ruhe und Abgeschiedenheit bei einem Spaziergang über den Koblenzer Hauptfriedhof, April 2019

Aber Joélle gefällt noch mehr. Sie liebt die Koblenzer Altstadt mit den verwinkelten Gässchen, die versteckten Hinterhöfe, die barocken Gebäude und das Kurfürstliche Schloss.
„Die Stadt ist einfach schön!“ Ein kurzer Satz, der keine Zweifel zulässt.

Joélle ist in Koblenz geboren, allerdings die ersten zehn Lebensjahre im Kondertal aufgewachsen. Über den Umzug in die nahe gelegene Stadt, auf das Stadtleben, freut sie sich zunächst. Doch dann vermisst sie, wie sie mir erzählt, die Natur, die Vögel, das Vertraut sein mit den Nachbarn. Und sie hat hin und wieder auch Heimweh. Bis heute ist ihr gespaltenes Gefühl zu Koblenz geblieben. Einerseits kann sie sich gut vorstellen, irgendwo am Meer zu leben. Andererseits würde sie Koblenz vermissen, weil, so Joélle: „Koblenz doch mein Zuhause ist. Nicht nur, weil hier die Menschen leben, die ich liebe. Ich habe mich mit der Stadt wohl doch angefreundet.“ Sie lächelt zaghaft.

Joélle liebt die langen Spaziergänge über den Koblenzer Hauptfriedhof, April 2019

Was magst du denn in Koblenz nicht so gern?
„Eigentlich, so Joélle nachdenklicher, „dass die Jugend hier nicht selbstbewusst ihre Meinung vertritt.“
Ich bin erstaunt über die Antwort der jungen Frau und hake direkt nach.
Joélles dunkle Augen blitzen während sie mir antwortet: „Wir jungen Menschen müssen uns viel stärker positionieren und engagieren, sei es im Jugendrat Koblenz, in den Schulen, in Jugendgruppen oder auch bei Demonstrationen. Ich wünsche mir, dass wir mutiger unsere Meinung vertreten und aktiv sind.“ Aus der eher leisen Joélle sprudelt es, selbstbewusst.
„Und“, so Joélle, jetzt keck, „ich habe ja in deinem Blog gelesen, dass du immer nach Wünschen für Koblenz fragst. Mir fällt dazu direkt etwas ein. In der Stadt sollte es Angebote geben, die wir überall kostenlos nutzen können. Kennst du die Aktion mit dem Klavier?“
Und noch ehe ich antworten kann, fährt Joélle fort: „Da steht mitten auf einem Platz in der Stadt ein Klavier und jeder, der darauf spielen mag, spielt. Und die Menschen bleiben stehen und hören zu. Oder die Bücherbox mit der Leseecke“, Joélle spricht merklich schneller, „im Schlossgarten zum Beispiel, ein Ort zum Entspannen oder einander begegnen, einfach so, vor allem ohne dafür zu bezahlen. Davon wünsche ich mir mehr. Mehr von diesen Angeboten, bei denen wir füreinander etwas Gutes tun.“ Dann schweigt die sympathische junge Frau mit dem wieder leicht melancholisch scheinenden Blick.

Fühlst du dich wohl in der Stadt?, frage ich leise.
„Ja“, antwortet Joélle ohne Zögern.
„Es ist sehr schön, hier als junger Mensch leben zu können. Die Stadt bietet für uns neben Kinos, Theater und Clubs auch Begegnungsstätten, wie die Jugend- und Kunstwerkstatt oder das Haus Metternich. In der JuKuWe werde ich sogar mein freiwilliges soziales Jahr machen. Weißt du,“ plötzlich ist Joélle wieder sehr ernst, „wer in dieser Stadt nicht findet, was ihn interessiert, ist selbst schuld.“

Koblenz: Großstadt, Kleinstadt und Angebote wie ein einer Metropole…

Und was würdest du einem Gast einen Tag lang in deiner Stadt zeigen?
„Die Einkaufsstraße“, lacht Joélle, „angefangen am Bahnhof, dann durch die Löhrstraße, quer durch die Altstadt und hinunter an den Rhein zur Seilbahn. Von dort gondeln wir hinauf zur Festung Ehrenbreitstein. Alles Weitere überlasse ich dem Zufall.“

Und was erzählst du deinem Gast über Koblenz?, bohre ich vorsichtig.
„Schwierig“, beginnt Joélle, „vielleicht das Koblenz auf dem Papier eine Großstadt, aber eher doch eine Kleinstadt ist, dafür Angebote wie eine Metropole hat.“
Über diesen Satz muss ich nachdenken.

Friedhof und Landschaftspark zugleich, der Koblenzer Hauptfriedhof, April 209

„Lass uns doch noch über den Friedhof spazieren“, schlägt Joélle plötzlich vor.
„Ich möchte dir ein Grab zeigen, welches mich sehr berührt hat, falls ich es finde.“
Ich bin einverstanden.
Langsam steigen wir eine alte schattige Steintreppe hinab, deren unebenen Stufen kühle Feuchtigkeit ausstrahlen. Wir sehen die ersten Gräber, die von großen schattenspendenden Bäumen umgeben sind. Hier und da zwitschert ein Vogel.
Ich möchte Joélle gerne meine letzte Frage stellen, andererseits die vertraute Stille nicht stören. Joélle scheint ganz in ihren Gedanken zu sein.

Als wir uns an einer Weggabelung über die weitere Richtung verständigen, frage ich Joélle dann doch. Und sie beschreibt mir Koblenz mit fünf Begriffen als historisch, verwinkelt, eigentümlich, multikulturell und einfach anders.

Die Grabstätte, welche sie mir an diesem Nachmittag zeigen wollte, haben wir dann nicht entdeckt. Entdecken konnte ich an diesem Nachmittag allerdings doch: eine sympathische, offene Koblenzerin mit wachem Blick, nicht nur auf ihre Stadt.
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Joélle, Jg. 1999, begeisterungsfähig und kreativ
Lieblingsplatz: Koblenzer Hauptfriedhof

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